LETTERPRESS
Wenn die Tradition wieder zum Trend wird
Mara und ich (Maya) steigen ins Auto und los geht die wilde Fahrt. Es ist 7 Uhr, Hitze technisch also noch ganz gut, wir hatten einen ersten kleinen Kampf mit dem Einfahrtstor in Bozen, aber sobald wir draußen sind, kann uns nichts mehr aufhalten.
4 Stunden und eine kurze Kaffeepause später kommen wir an. Wir gehen in die große, moderne Industrial-style Halle. wir schauen uns um. Ein Blick nach links und da steht schon Sabina. Mit einer herzlichen Umarmung begrüßt sie uns und macht uns Kaffee. Wir unterhalten uns kurz und schon kommt Friedl ums Eck. Auch er lässt uns sofort spüren, dass wir willkommen sind. Abgesehen davon, dass wir unsere lieben Kollegen hier in Augsburg besuchen, sind wir auch hier, um uns auf den neusten Stand bezüglich neuer Produkte zu bringen und ganz besonders, um uns ein neues, aufregendes und echt cooles Projekt anzuschauen. Projekt ist eigentlich zu klein gesprochen. Es handelt sich um eine ganze Maschine – eigentlich drei, die uns neue ganz neue Möglichkeiten bieten: Letterpress.
Sollte jemand nicht wissen was es mit „Letterpress“ auf sich hat, kein Problem, ich erkläre es kurz – bin ja jetzt quasi Profi. Letterpress bedeutet übersetzt „Buchdruck“ und ist die Mutter aller Druckverfahren. Hinten bei den ganzen Druckmaschinen fühlt man sich jetzt ein bisschen wie in einem historischen Museum.
Die historische Drucktechnik ist wieder voll im Trend. Retro ist „in“ und Wertigkeit sowieso. Qualität vor Quantität ist die Devise. Letterpress zeichnet sich durch seine hochwertige Optik und das haptische Sinneserlebnis aus, das damit einhergeht. Die Tiefe, die auf dem Papier durch die Prägung entsteht, verleiht dem Produkt das gewisse Etwas.
Wie bereits erwähnt, bedeutet Letterpress Buchdruck und funktioniert dementsprechend ähnlich wie Offsetdruck. Es gibt Farbe, Rollen, Papier und eine „Druckplatte“. Die Druckplatte ist allerdings keine belichtete Platte bestehend aus fettbindenden und fettabweisenden Teilen, welche dafür sorgen, dass die Farbe am Ende aufs Papier kommt. Die Druckplatte wird hier „Klischee“ genannt und besteht aus einer gefrästen Metallplatte – ein bisschen wie der Kartoffeldruck, den wir aus der Schule kennen. Beim Druck selbst kommt aber nicht nur Farbe bzw. Folie aufs Papier, sondern es entsteht ein „Relief“ – ein echtes Kunstwerk also.
Wir gehen also nach vorne in den nun „historisch“ angehauchten Produktionsbereich und schauen uns das Ganze aus der Nähe an. Danny nimmt sich die Zeit und erklärt Mara und mir, was alles möglich ist: Hochdruck, Heißfolienprägung, Farbprägung, Blindprägung, Farbschnitt und vieles mehr. Bei der Farbprägung ist zu beachten, dass es bei einer Letterpress nur ein Farbwerk gibt, das bedeutet also pro Druck eine Farbe. Will man mehr als eine Farbe kombinieren, muss man also pro Farbe einen Druckdurchgang einplanen. Ein weiterer Unterschied zum Offset ist also auch, dass nicht mit vier Farben gearbeitet wird, sondern mit reinen Pantonefarben.
Wir schießen hunderte von Fotos und sind ganz begeistert. Die Maschine ist wirklich sehr „instagramable“ mit ihrem Retro-Look. Die Kombination von Vintage mit modernen Elementen, gibt dem Betrachter zu verstehen, dass man nicht „altbacken“ ist, sondern auf künstlerisch-kreatives „old-school“ steht.
Zurück zum Klischee – nicht das was wir im klassischen Sinne darunter verstehen, sondern die Druckplatte für unseren Probedruck. Bevor uns Danny zeigen kann, wie der Druck in der Praxis aussieht, müssen wir die Grafik festlegen. Mara hat sich schon was Cooles ausgedacht, gemeinsam mit Tom definiert sie noch, wie sie die Grafik am besten anlegt. Damit ist gemeint, welcher Part der Grafik tiefer gefräst wird und wie fein bestimmte Linien werden sollen. Dann geht es ans Eingemachte. Tom lädt die Grafik auf den PC und startet den Fräser. Fräsen mit unterschiedlichen Größen müssen eingespannt werden, um die feinen Linien und Kreise zu ziehen. Es sollen unterschiedliche Muster, unterschiedliche Höhen und Tiefen dargestellt werden – wir wollen sehen was der Old-Timer alles kann. Tom und Friedl sind von Anfang an mit sehr viel Leidenschaft dabei, haben verschiedene Materialien getestet und den Prozess optimiert. Das Fräsen dauert. Mara, Tom und ich stehen vor der Scheibe und beobachten die Fräse. Gemeinsam mit dem Geräusch ist es fast meditativ.
In der Küche duftet es nach leckerem Essen. Wir nutzen die Fräszeit, um uns mit den anderen auszutauschen und uns zu stärken. Nach dem gemeinsamen Mittagsmahl kehren wir zurück an den Ort des Geschehens: endlich erkennt man die ersten Linien. Der Feinschliff passiert über Nacht.
Am nächsten Morgen spazieren wir an unseren Arbeitsplatz für diese Tage und setzen uns an „unsere“ geliehenen Plätze. Mara ist mit unserem Kunden Sportler beschäftigt und ich arbeite Mails ab. Endlich ruft uns Danny. Das Klischee ist ready. Wir suchen uns eine Folie für die Heißfolienprägung aus. Ein echtes Folienparadies. Matt Grün und glänzend Violett haben das Rennen gemacht. Dann entdecken wir eine Kiste ganz hinten, unten im Regal: Regenbogen, Glitzer, sehr viel „trash“ – irgendwie 90ies. Ganz sicher sind wir uns nicht, was genau es ist, aber DAS wollen wir ausprobieren.
Friedl schüttelt nur den Kopf „also, das ist wirklich GAR NICHT meins“, Mara und ich sind aber glücklich mit unserer Regenbogen-Lunapark-Kaugummiautomaten-Farbe. Diese Folie mit unserem Klischee auf der „Original Heidelberg“ aus dem Jahre 1950 wird auf dem Papier zu einem echt stylischen Epochenmix.
Wir stellen Danny 100 Fragen und er hat auf alles eine Antwort. Er hat an so einer Maschine gelernt – kaum zu glauben. Als wir uns selbst an der Maschine probieren dürfen, merken wir, wie schwer die fast 100 Jahre alte Maschine ist und wie viel Kraft sie in Anspruch nimmt. Es ist echt faszinierend, dass dieses so historisch wirkende Gerät so gut funktioniert. Die Maschinen von früher haben nicht nur Charme, sondern sind auch in einem wirklich guten Zustand. Sie machen auch nach 70 Jahren noch genau das, was sie machen sollen. Ich habe oft mit meinem Drucker Zuhause zu kämpfen – das hier scheint einwandfrei zu funktionieren – gut, hier sind auch Profis am Werk. Außerdem handelt es sich in diesem Fall nicht um die altbekannte Hass-Liebe zwischen Mensch und Maschine, sondern um echte Handwerkskunst.
Als Muster wird Maras Entwurf hergenommen und wir verwenden ein 700gr Papier (für Personen, die nicht vom Fach sind: das ist SEHR dick). Ein Baumwollpapier, hochwertig und voluminös und damit perfekt um die Dreidimensionalität zur Geltung zu bringen. In einem Durchgang wird hier gedruckt UND geprägt – es passiert also alles in einem, weshalb es möglich ist auch sehr feine Motive zu drucken.
Unsere Prägung sieht echt spacig aus – ich bin nicht sicher, ob es dieses Wort so gibt, aber es beschreibt ziemlich gut, wie es aussieht – irgendwie nach Space 😉 Die Eleganz der traditionellen Drucktechnik in Kombination mit dem modernen Design und der etwas „verrückten“ Folie machen unseren Versuch besonders und schaut auf dem voluminösen Baumwollpapier trotz Regenbogen-Lunapark -Kaugummiautomaten-Farbe wirklich hochwertig aus.
Wir nutzen unser Experiment als Karte, mit der wir uns bei unseren Kollegen für die Geduld und die herzliche Aufnahme bedanken. Eigentlich hat auch unser Experiment Visitenkartenformat – das wohl häufigste Anwendungsgebiet gemeinsam mit Einladungskarten oder Postkarten. Bei dem Umschlag eines Kunstbuches wurde es hausintern ebenfalls bereits umgesetzt, allerdings sind die Maschinen nicht für jedes beliebige Format geeignet. Das Papier sollte außerdem wie vorher schon erwähnt gut gewählt sein, um den Effekt auch wirklich wirken lassen zu können.
Zum Abschluss dürfen wir noch bei der Sommerfeier dabei sein. Wie auch bei meinem letzten Aufenthalt bei unseren Augsburger Kollegen wird gekocht: Oxana und ihre Tochter Sonja stehen in der Küche gemeinsam mit Friedl und Tom. Gabi und Ellen haben Eis gemacht, Steffi Tiramisu und Sabina einen Kuchen. Alles ist super lecker und auch die Stimmung ist sehr gut. Da wir noch etwas Strecke vor uns haben, machen wir uns gegen 19.00 Uhr auf den Weg. Schade, dass die Tage so schnell vorbei waren. Aber wie schon der Rosarote Panther meinte (und der ist bekanntlich sehr sehr weise): Heute ist nicht alle Tage; wir kommen wieder, keine Frage.